Projektbericht "Aus der Haut fahren" in Tempelhof

Im Auftrag des Jugendamts Tempelhof-Schöneberg haben wir Mitte November 2022 das Projekt Aus der Haut fahren begonnen. Das Projekt findet an drei Nachmittagen pro Woche jeweils in unterschiedlichen Gemeinschaftsunterkünften (Columbiadamm, Colditzstraße und Kirchhainer Damm) statt.

Ziel dieses Projektes ist es, Kindern mit belastenden Erfahrungen eine neue Sichtweise auf emotionales Geschehen zu ermöglichen. So soll mit Hilfe von theater- und kunstpädagogischen Methoden auf spielerische Art und Weise die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder gestärkt sowie ihre sprachlichen Kenntnisse ausgebaut werden. Durch eine regelmäßige, wöchentliche Projektteilnahme kann außerdem ein Safe Space entstehen, in welchem die Kinder die Möglichkeit bekommen, sich in einem Raum abseits des Alltags neu zu entdecken und zu entfalten. 

Ein maßgeblicher Teil des Projektes ist die Nutzung von digitalen Medien und die Arbeit mit Apps. So entstehen kleine Filme und eigene Musikstücke, die mithilfe einer MusikApp aus Umgebungsgeräuschen, digitalen Samples und Kinderstimmen zusammengefügt werden.

Die Basis der gemeinsamen künstlerischen Erforschung ist eine gründliche Beziehungsarbeit. Viele der teilnehmenden Kinder haben in ihrem bisherigen Leben traumatische Erfahrungen gemacht und begegnen neuen Menschen oder ungewohnten Gegenständen oder Klängen erst einmal mit Scheu. Hier wird mit viel Geduld und einem spielerischen Ansatz eine langsame Heranführung geschaffen und den Kindern ermöglicht, in ihrem eigenen Tempo in der Gruppe anzukommen und sich in die angebotenen Aktivitäten einzufinden.

Der Beziehungsaufbau wird durch die Nutzung des Lern-Erlebnis-Programms Der Kleine Stern unterstützt. Durch den Einsatz der im Zentrum des Programms stehenden Stern-Handpuppe wird eine Kommunikation auf Augenhöhe ermöglicht und spielerisch die Neugierde und Sprachfreude der Kinder geweckt. Dabei fungiert Der Kleine Stern als Identifikationsfigur für die Kinder, mit dem sie gemeinsam die Welt um sich herum entdecken und nach und nach auch auf sprachlicher Ebene erkunden können. Das Programm vereint ein Zusammenspiel aus Elementen wie Bewegung, Musik, Bildnerisches Schaffen, Tanz und Theater, Clownerie und Humor. 

Am Anfang des Projektes galt es, einigen Herausforderungen zu begegnen: So gab es in der Anfangsphase zunächst noch keine gleichbleibenden Gruppen, die  an den Terminen teilnahmen. Die entsprechend wechselnden Altersgruppen und Sprachfähigkeiten innerhalb der Gruppe erschwerten damit die Etablierung von Kontinuität sowie eines festen (Rückzugs-) Ortes für die Kinder. Durch gezielte Reorganisation konnte schließlich ein verbindliches Konzept mit festen Teilnehmendenlisten geschaffen werden, so dass die anfänglichen Schwierigkeiten bewältigt werden konnten.
Eine weitere Hürde waren teils starke Sprachbarrieren. Viele Kinder in den Gemeinschaftsunterkünften sprechen noch kein bis wenig Deutsch. Durch jahrelange Erfahrung mit dieser Zielgruppe sind wir auf diese Situation jedoch bestens vorbereitet: Unsere Aktivitäten sind auch nonverbal verständlich, sodass alle Kinder die Möglichkeit haben, mitzumachen. Nach und nach wird so mehr Sprachverständnis aufgebaut und die Sprachfähigkeiten der Kinder erweitert.

Nach nun insgesamt drei Monaten Projektlaufzeit konnten wir viele positive Entwicklungen bei den betreuten Kindern beobachten. Die anfangs zurückhaltenden Kinder blühten innerhalb kurzer Zeit auf, öffneten sich und nahmen mit großem Interesse und Freude an den Angeboten teil. Sie besuchen unser Programm immer wieder gerne. Ein großer Favorit der Kinder war das Schattentheater, bei dem mit Licht, Schatten und verschiedenen Perspektiven gespielt sowie hinter der Leinwand getanzt und sich frei bewegt werden konnte. Dabei war es uns besonders wichtig, die Impulse der Kinder aufzugreifen, mit ihren Ideen mitzugehen und ihnen auch mal die Führung zu überlassen. So unterstützen wir die Kinder in ihrer Selbstwirksamkeit und stärken sie in ihrem Selbstvertrauen. 

Das Projekt wurde sowohl von Kindern und Eltern als auch von GU-Leitungen und dem Jugendamt als große Bereicherung erlebt. Die kreative Arbeit lässt sich dabei in außergewöhnlichen Ergebnissen bestaunen: In der Malwerkstatt entstanden Kunstwerke, in der Musikwerkstatt neue Klangerlebnisse und durch das Puppenspiel mit dem Kleinen Stern fanden viele Kinder ihre eigene Stimme.

Im Rahmen des Projektes Aus der Haut fahren konnten die Kinder große Fortschritte sowohl auf sozial-emotionaler Ebene als auch in ihrer sprachlichen Entwicklung erzielen. Ein tolles Beispiel hierfür ist die Entwicklung des dreieinhalbjährigen Yuri:

Yuris Mutter berichtete vor Projektbeginn von großen Schwierigkeiten ihres Sohnes in der Interaktion mit Gleichaltrigen sowie in Gruppenkonstellationen. Bei den ersten Terminen wurde deutlich, dass Yuri eine große innere Unruhe in sich trug. Er war sehr zurückhaltend und schüchtern, gleichzeitig “zappelig” mit dem stetigen Drang zur Bewegung. An Gruppenaktivitäten beteiligte er sich zunächst nicht, er sprach nicht und  hielt sich häufig Augen und Ohren zu. Von der Gruppe hielt er sich fern. 

Die Pädagog*innen von Edusation gaben Yuri in dieser Phase sehr viel Freiraum und ließen ihm immer die Möglichkeit offen, sich bei Aktivitäten zu beteiligen - stets in der Form und dem Maße, wie es für ihn persönlich passend war. Die Arbeit in der Kleingruppe gab ihnen dabei die Möglichkeit, individuell auf Yuris Bedürfnisse einzugehen, was sich als wichtiger Erfolgsfaktor herauskristallisierte. Die Arbeit mit der Handpuppe Der Kleine Stern ermöglichte Yuri schließlich eine Annäherung an die Gruppe zu finden. Über den Kontakt zur Handpuppe, wurde es für ihn nach und nach einfacher, auch in die Interaktion mit den anderen Kindern sowie den Pädagog*innen zu treten. Ein großer Meilenstein war erreicht, als Yuri nach einiger Zeit zum ersten Mal selbst mit der Handpuppe sprach. Ab diesem Zeitpunkt war eine deutliche Öffnung bei Yuri zu spüren. Er fand eine neue Ruhe und hatte Spaß an Liedern, dem Schattentheater und beim Malen. Durch seinen regelmäßigen Besuch des Aus der Haut Fahren Angebots hat Yuri deutlich sicht- und spürbare Fortschritte erzielt - sowohl sprachlich als auch auf sozio-emotionaler Ebene.

Wir sind sehr zuversichtlich, dass Fortschritte wie bei Yuri nachhaltig die Entwicklung der Kinder stärken werden und freuen uns daher sehr, dass das Projekt um weitere drei Monate bis Ende Mai 2023 verlängert wurde.